Weihnachten im Maschinenhaus ( 1 )
Weihnachten, Neujahr, Dreikönige. Feste, Feste, Feste ohne Ende. Das war
für die Kesselschmiede keine schöne Zeit, damals vor zwanzig Jahren,
als ich noch Lehrling war. Zu den Feiertagen wurden die Fabriken stillgesetzt:
am Heiligabend wurden die großen Dampfkessel, die sonst das ganze Jahr
voll siedendem Wasser und gespanntem Dampf waren, abgeblasen. Damals hatte man
noch keine Reservekessel, es mussten auch die Maschinen hergeben, was sie
konnten. Aber von Weihnachten bis Dreikönige wurden sie gründlich
geputzt und repariert. Da mussten die Metallarbeiter, die Maurer,
überhaupt die Handwerker 'ran, vom Heiligabend bis Dreikönige. -
Zuerst wurden die Kessel untersucht; wir krochen, die Lampe hocherhoben in
einer Hand, die andre Hand mit einem nassen Lappen umwickelt, durch das erste
Flammenrohr, dann hinein in die Feuerzüge, leuchteten alle Nähte und
Nieten ab, die Knie hochgezogen, hockend rutschten wir in den kaum drei
Viertelmeter "großen" Flammenrohren und Feuerzügen herum.
Das war die erste Tour, die dauerte eine halbe Stunde, immerzu durch
fußhohen, glühheißen Ruß und Flugasche, in 50 bis 60
Grad Wärme. Ruß fiel herunter von den Rundungen der Kesselplatten in
den Nacken, in die Augen. Ruß atmete die Lunge, die Nase saß voll
Ruß. Wenn man dann hinaus kroch in den Kesselraum, was war es ein
Hochgenuss, konnte man sich mit einem Lappen Schweiß und Ruß aus
dem Gesicht und Nacken fegen, dann einen Schluck Wasser trinken und vor das Tor
gehen: Glockengeläute dröhnte von der Stadt her, Weihnachtsglocken,
am Abend vor dem Feste, dem Heiligabend! Sie sangen über die Dächer
der Stadt ihr Freudenlied. Einmal hielt ich's nicht aus: ich verließ
Kesselraum und Gesellen und stieg die eiserne Leiter hinauf, kletterte aufs
flache Dach des Heizraumes, stand hoch über den Gebäuden der Fabrik,
und umsungen vom Geläute sah ich hinein in die Stadt, in die fernen
Häuser, in deren Fenstern der Heilige Abend aus dem Kerzengeflimmer eines
Christbaums funkelte. Sah Gestalten sich bewegen, Väter, Mütter,
Söhne, Töchter, Kinder! Heiligabend! Heiligabend!
Im ersten Lehrjahre meines jungen Lebens, setzte ich den Stolz des Lehrjungen
gegen die Wehmut ein und fühlte nicht den Jammer, der sich vorbereitete.
Aber schon im zweiten Jahr, da putzte ich mit meinem dick mit Ruß
beschmierten Jackenärmel die rinnenden Tränen, da hatte ich schon
Freunde, die zusammengekommen waren am Heiligabend.
Was soll ich es verschweigen - im dritten Jahr hab' ich mir das
Schweißtuch ins Maul gestopft, um nicht aufbrüllen zu müssen:
Heiligabend und die Freundin, die Jugendfreundin, die Kinderliebe, Nachbarskind
- es brachte uns das Essen in die Fabrik, auch sie wollte Heiligabend nicht
mitfeiern, wenn ich unterm Kessel liegen sollte. Scheu und fremd, das liebe
Gesicht in ein Kopftuch gehüllt, saß sie neben mir auf der
Heizraumbank und wartete, bis ich mein Essen heruntergewürgt. -
Nicht einmal eine Hand konnte ich ihr geben, die Gesellen hätten mich
veräppelt die ganze Nacht. Und dann um Mitternacht, der Geselle hockte auf
der Bank, ich muckelte schläfrig, und meine phantastische Seele lebte im
Mysterium der heiligen Nacht: ich sah das Feld von Bethlehem, die Hirten, die
Weissagung klang, ich sah im Heizraum, schwärzer als der Mohrenkönig,
das ewige Licht, dachte mir aus: Wenn jetzt die Heilige Familie käme, hier
in diesem Kesselhaus fände sie noch Licht, hier läuteten die Glocken
unserer Hämmer: "Komm! Komm! Komm! Komm!"
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Heinrich Lersch 1889 - 1936
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