Weihnachten im Maschinenhaus ( 2 )
Und ich hätte das
Heizraumtor aufgemacht, hätte - nein, ich hätte die weichesten
Putzwollballen in den sauberen Maschinenraum geschleift, ein Lager bereitet,
auf der Feldschmiede Kaffee gekocht, unsere Nachtbutterbrote auf einen sauberen
Lappen gelegt, und ich sah den Glanz des ewigen Lichtes strahlen durch das
Maschinenhaus. Ich sah den Gesellen, den halbbesoffenen, gebändigt und von
heißer Glut ernüchtert, sah den Heizer kommen, voll Staunen, die
schwarzen Kesselputzer, wie wir rußbestaubt, ein Dutzend schmieriger
Gestalten, fernab der Stadt, einsam. Ach, wer sagt es, dass die anderen nicht
auch den Heiland erwarten, sie waren doch auch alle des erbärmlichen
Lebens satt und warteten auf den Erlöser. Einfältiger waren sie als
die Hirten, denn sie glaubten noch den Reden der Herren, die ihnen goldene
Berge versprachen, wenn sie selbst einmal - reich und mächtig - geworden.
Sie glaubten dem Menschenwort, weil Gotteswort zu überirdisch klang.
Was war das ein Gang zur Mette! Um drei Uhr Gesicht und Hände abgeseift,
immer noch schwarze Ringe um die Augen, frisches Hemd, Kragen des
Überziehers aufgeschlagen, den Ruß spürend in jeder Hautpore,
aus dem glühheißen Kessel in die morgenkalte Kirche. Wie
geschniegelt und gebügelt, wie eitel geckenhaft kamen uns dann die Herren
vor, Modepuppen, selbstgefällig ihre glatten Scheitel tragend, wie
schön die Frauen und Mädchen in ihren warmen Mänteln! Wir trugen
den Ruß, den Schmutz nicht nur in unserer Haut, nein, bis in das, was man
Seele nannte; wir fühlten in den Blicken der Neugierigen, die uns
müde Gestalten musterten: ihr stört ja die Andacht und die Stimmung
mit euren abgespannten Gesichtern! Das strahlende Licht vom glühenden
Stern über dem Altar schmerzte in den rußzerbissenen Augen.
Und die Orgel, die Orgeltöne! Sie rissen mir die Brust entzwei: Freut
euch, Menschen, die ihr wart verloren! Wie gern wäre ich niedergekniet,
aber, ich musste stehen bleiben, die Müdigkeit kam; hätte ich in
einer Bank gesessen, längst wäre ich eingeschlafen. So hielt ich mich
aufrecht, bis die erste stille Messe vorüber war und das Hochamt in der
Mette begann. Dann schob ich mich mit unsäglich bedrückter Seele
hinaus aus der Gemeinschaft der Christgläubigen, hinein in die kalte
Nacht, zurück in die Fabrik. Die junge, fromme Seele suchte nach einem
Trost, nach einer Stimme, die ihm verzieh, dass er nicht drei heilige Messen
mit Andacht hören konnte. Und fand den Trost erst, als ich wieder im
Kesselhaus angelangt war und - nun den hellen Schein im Maschinenhaus sah:
sollte doch das heilige Paar?
Nein! Aber die Heizer, Maschinisten und Kesselputzer saßen um die
Feldschmiede, deren Flammen hoch loderten, und erzählten Geschichten von
anderen Weihnachtsnächten. Der eine, ein alter Seemaschinist, von
Weihnachten unter Schwarzen und Wilden unter tropischer Sternenpracht, der
andere von der Wanderschaft, Weihnacht in Pennen und Herbergen, in
Gefängnis und Arbeitshaus. Und alle dankten es ihrem Schicksal, dass sie
nun in der Heimat waren und Geld, ein wenig mehr als an sonstigen Tagen,
verdienen konnten.
Bis der kleine Rasch von billigem Schnaps und krampfigem Vergessen erlosch und
die Arbeit, das brüllende Müssen, uns wieder in den Kessel trieb. Der
Hammer donnerte an den Nietköpfen, die Stemmer klinkten an den
Nähten, der Schweiß rann durch die rußigen Gesichter. Georg
Kriegesmann, der Nieter aus Bremen, sagte: "Lat se man feiern, Junge, lat
se man!
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Heinrich Lersch 1889 - 1936
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