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  Das Geheimnis der Mischung ( 2 )
  Wenn Sie mich erst mal auf zehn Jahre in Ihren Händen hätten, dann könnten Sie mich schon so lange kneten und bearbeiten, dass mir schließlich nichts andres übrig bliebe, als ein Schuft zu werden und Ihnen das Fabrikationsgeheimnis meines jetzigen Herrn zu verraten."
  Zornig packte er seinen Hut, stülpte ihn über die gesträubten Haare, stapfte mit langen Schritten davon und schoss zur Türe hinaus. Die Augen auf das beschneite Pflaster gesenkt, so stürmte er heimwärts. Bilder der Erinnerung huschten an seiner Seele vorüber. Er dachte an die Lehrlingszeit zurück, die er in einem chemischen Laboratorium durchgemacht hatte, und an die ersten Gesellenjahre, die er weit von der Heimat in einem großen Glaswerk verbrachte. Dann war er heimgekommen und hatte in der Seydelmannschen Majolikafabrik eine sichere Stelle gefunden. Der gute Herrgott hatte ihm ein gutes Weib und gesunde lustige Kinder beschert - ja, was wollte er denn noch mehr? Ein wenig knapp ging es freilich her zu Hause; aber wenn da nun auch ein paar kleine Rückstände bei den unentbehrlichen Handwerksleuten nicht zu vermeiden waren - er hatte ja nur eine kurze Woche noch auf den Neujahrstag zu warten, an welchem Herr Seydelmann für den Glückwunsch jedes Beamten und Arbeiters mit einem ganzen Monatsgehalte zu danken pflegte. Und diesen Herrn, der ihm erst vor acht Tagen den größten Beweis seines Vertrauens gegeben hatte, den hätte er verraten und verkaufen sollen? Bei diesem Gedanken warf Schaller die geballten Fäuste so zornig in die Höhe, dass ein altes Mütterlein, welches ihm gerade entgegenkam, sich erschrocken vom Fußsteig auf die offene Straße flüchtete.
  Bald erreichte er sein Heim, weit draußen in einer stillen Vorstadtgasse. Mit hurtigen Sprüngen eilte er die vier engen, steilen Treppen hinauf. Seine schmucke blonde Frau empfing ihn. "Grüß dich Gott, Robert!" sagte sie und schaute ihn von der Seite an, denn sie las es ihm gleich vom Gesicht, dass irgend etwas nicht in Ordnung war. Diese Wahrnehmung aber verschwieg sie ihm. Sie fasste seinen Arm und zog ihn gegen die Stube. "Komm nur, kannst mir gleich die Kerzen aufstecken helfen. Die Kinder wollen schier nimmer warten. Sie schreien wie die Wilden, und der armen Großmutter haben sie schon alle Falten vom Rock heruntergerissen."
  Sie traten in das Zimmer, welches, von einer Hängelampe erhellt, trotz seiner dürftigen Ausstattung einen behaglichen, freundlichen Eindruck machte. Der Tisch war schon zum Abendessen gedeckt und seitwärts, auf einem niederen Kasten, stand der kleine, nicht allzu schwer behängte Christbaum, unter welchem die kärglichen Weihnachtsgaben für die Großmutter und die Kinder ausgebreitet waren. Sie redeten eine Weile über diese Sachen und Sächelchen hin und her; dann begannen sie die Kerzen aufzustecken, während aus dem anstoßenden Zimmer der übermütige Jubel der drei "Wilden" sich hören ließ.
  "Robert, mit kommt's vor, als hättest heut einen Verdruss gehabt?" fragte nach einer Weile die junge Frau. "Gott bewahr!" brummte er und schüttelte den Kopf. Sie fragte nicht weiter, denn sie kannte ihn - und da kam's denn nach kurzen Minuten von selbst aus ihm heraus, diese Kaffeehausgeschichte. "Heute Nachmittag, gerad wie ich aus der Fabrik hab' fort wollen, hat mir einer einen Brief geschickt, ich soll zu ihm ins Kaffeehaus kommen, weil er mit eine wichtige Mitteilung zu machen hätt'."
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  Ludwig Ganghofer 1855 - 1920
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