Das Geheimnis der Mischung ( 3 )
"Und bist hingegangen?"
Natürlich war er hingegangen und hatte dort jenen vornehmen Herrn
gefunden, der sich ihm als Besitzer einer großen Porzellanfabrik genannt
hatte. Da war es nun bald aufgekommen, dass Schaller eine wichtige Mitteilung
nicht empfangen, sondern geben, verkaufen sollte. Die Fabrik, in der er
arbeitete, lieferte neben anderen einschlägigen Waren eine gewisse
Majolikasorte, welche den reißenden Absatz, den sie gefunden, der
tadellosen Schönheit und mit unvergleichlichen Schmelz ihrer Farben
verdankte. Viele Fabriken hatten es versucht, den gangbaren Artikel
nachzumachen; aber wenn auch die zur Erzeugung dieser Schmelzfarben
nötigen Stoffe bekannt waren, so vermochte doch keiner der Nachahmer die
richtige Mischung zu treffen. Diese war das wohlbewahrte Geheimnis der
Seydelmannschen Fabrik geblieben; denn außer dem Besitzer der Fabrik
kannte diese Geheimnis nur noch ein einziger alter Arbeiter, der in einem
verschlossenen Raume die Mischung vornahm. Dieser Arbeiter war nun vor acht
Tagen einer jähen Krankheit erlegen und Robert Schaller war an seine
Stelle getreten.
"Und wie mir damals am vorigen Samstag der Herr alles gesagt hat, was ich
zu meiner neuen Arbeit hab' wissen müssen, hat er kein Versprechen, kein
Wort und keinen Schwur von mir verlangt. Sie sind ein braver, tüchtiger
Mensch, ich habe Vertrauen zu Ihnen und ich weiß, dass sie meine gute
Meinung nicht täuschen werden. Das war alles, was er gesagt hat. Kaum acht
Tage sind's her, seit ich von der Schmelzerei ins Laboratorium gekommen bin;
und jetzt hat sich heut schon der Kerl da an mich angeheftet und hat gemeint,
er braucht' nur seine Brieftasch' aufzumachen, dass ich meine Ehr' hineinfallen
lass' zwischen seine Hundertguldenzettel.
Aufatmend schwieg er. Seine junge Frau erwiderte kein Wort. Sie stand auf einem
Stuhl und klebte die bunten Kerzlein auf die obersten Zweige des Baumes. Dabei
zitterten ihre Hände und nach einer stummen Weile fuhr es ihr
plötzlich heraus: "Robert! Wenn du zu einer solchen Schlechtigkeit
hätt'st ja sagen können, ich glaub`, da wär's aus gewesen mit
meiner Lieb." Er nickte nur, als hätte sie etwas
Selbstverständliches gesagt.
Nun sprang sie vom Stuhl und die Kerzen wurden angezündet. Robert
öffnete die verschlossene Türe, der Großmutter voran
stürmten die drei "Wilden" herein und lachende, jauchzende
Freude füllte die Stube, die vor wenigen Minuten noch so ernste Worte
gehört. Als sich aber der erste Jubel der Kinder ein wenig gelegt hatte,
kam mit der Bescherung die Reihe an den Vater. Mit lächelnder
Zufriedenheit betrachtete er eine nach der andern von den zwölf
brettdicken Socken, welche die Großmutter ihm gestrickt hatte, eines nach
dem andern von den sechs rot eingestickten, sorgfältig gesäumten
Taschentüchern, die ihm seine Frau beschert hatte. Dann kam aber erst die
Hauptsache - die Vorführung der "in Freiheit dressierten
Wilden". Die siebenjährige Elise brachte ein Paar gestickte Schuhe
und deklamierte dazu eine Pantoffelhymne, als deren Dichterin sich mit
verlegenem Erröten die Großmutter bekannte:
"Lieber Vater, diese Schuh
trag in Gesundheit und Ruh;
die Kindeslieb, wo mein Herz beglückt,
hab ich drinnen hineingestickt.
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Ludwig Ganghofer 1855 - 1920
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