Ein besonderes Weihnachtsfest ( 2 )
Kleine Jungen, in Lumpen gehüllt, mit Pelzmützen und
rotgefrorenen Gesichtern, heften sich mit wildem Geschrei an unsere Fersen und
bieten sich zum Tragen des Weihnachtsbaumes an. Wir gehen die schmalen
Gänge zwischen den Tannenbäumen auf und ab, scheuchen mit einem
Scheltwort die uns verfolgenden Buben fort, die einfach unerträglich
werden mit ihrem Geschrei und ihrer Zudringlichkeit. Erschreckt flattern sie
auseinander wie eine Schar gescheuchter Vögel, um sich sofort wieder
zusammenzurotten und uns wieder zu verfolgen. Mein Freundin und ich sehen uns
ratlos an: Zerlumpte, Ärmste gab es hier genug, aber von denen wagten wir
keinen in unser Haus zu rufen. Traurig wanderten wir heim, die enttäuschte
schimpfende Schar hinter uns lassend. Es ist ein Tag vor Weihnachten, und wir
haben uns in ein einsames Weihnachtsfest gefunden. Da gehe ich abends in der
Dämmerung durch die Straßen und sehe an einem hell erleuchteten
Ladenfenster einen Bettler stehen, mit sehnsüchtigen Blicken auf die
ausgestellten Herrlichkeiten schauend. Ich stelle mich neben ihn und beobachte
ich heimlich: seine Kleider sind geflickt und gestopft, auf dem Rücken hat
er einen Bettelsack, in der Hand einen Knotenstock. Er wendet sich mir zu, und
ich blicke in ein schönes, ehrliches, altes Gesicht mit einem weißen
Bart und frohen klaren Augen, die mich fast etwas schelmisch hinter
Brillengläsern ansehen. "Schenken sie mir etwas", sagt er
freundlich, Sie haben gewiss ein gutes Herz, ich möchte mir gern ein
kleines Weißbrötchen kaufen, aber ich habe kein Geld dazu."
Ich drücke ihm ein Geldstück in die Hand, er zieht höflich sein
gestricktes Mützchen und dankt. "Wollen sie mich nicht morgen zum
Weihnachtsabend besuchen?" fragte ich ihn.
"Ei, warum denn nicht", sagt er vergnügt, "ich komme schon
ganz gern, ich habe aber zu Hause eine Frau, darf ich sie mitbringen?"
Ich lade auch seine Frau ein, und schreibe ihm meine Adresse auf, er
verspricht, morgen Nachmittag pünktlich bei mir zu sein.
Als wir aus dem Festgottesdienst heimkommen, finde ich ihn richtig mit seiner
dicken lustigen Frau in meiner Küche vor. Sie sind beide gut und
sorgfältig gekleidet, nichts erinnert an den Bettelmann von gestern. Ich
führe sie in mein Speisezimmer, wo der Festtisch gedeckt ist, und wir
setzen uns um den Tisch zur Entrüstung meiner alten Magd.
"Denen würde es nichts schaden, wenn sie in der Küche essen
würden", sagt sie ärgerlich, "alles, wie es sich
gehört. An einen Herrschaftstisch gehört kein Bettler."
"Aber es ist Weihnachten, Annchen, und die beiden sind unsere
Gäste", sage ich, "Sie sollen sich auch mit zu uns setzen."
Die alte treue Seele sieht mich empört an.
"Dienstboten gehören in die Küche zum Essen", sagt sie
streng, "und Herrschaften ins Speisezimmer, so war es immer.
Außerdem ist er bestimmt kein richtiger Bettler, er ist viel zu
lustig."
Das Bettlerpaar lässt es sich wohl sein, sie essen und trinken und freuen
sich an allem.
"Das ist mal ein Festabend", sagt der Alte immer wieder, "mir
ist es lange nicht so gut gegangen."
Nun ist das Essen beendet, und die Weihnachtslichter sollen angezündet
werden. Wir führen das alte Paar unter den hellen Lichterbaum, wo sie
ihren Tisch mit Gaben finden.
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Monika Hunnius 1858 - 1934
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