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  Die Geschichte vom Kräutchen Eigensinn ( 2 )
  Endlich gegen Abend kam noch von weit her ein Vögelchen geflogen und wie es so daher schwebte und den schönen, grünen Strauch ansah, wollte es sich ein wenig darauf ausruhen und ein Liedchen singen. Da hätte doch nun das Kräutchen Eigensinn Gelegenheit gehabt, wieder lieb und gut zu sein und sich mit den Andern auszusöhnen. Aber, nein, es war noch trotziger dabei und meinte Wunder, wie großes Unrecht ihm geschehen sei. Kaum hatte sich der Vogel ein hübsches Plätzchen ausgesucht, da fing es an sich zu biegen und zu neigen und wollte ihn durchaus von sich abschütteln.
"Ach", bat das Vöglein freundlich, "halte doch stille, lieber Strauch, ich singe Dir auch mein allerschönstes Lied!"
"Nein, ich will nicht, ich tu's nicht! Ich mag von Euch jetzt auch nichts mehr wissen!" rief Kräutchen Eigensinn voll Wut und Zorn. Da flog das Vöglein fort und setzte sich zu dem Röslein, das es freundlich bei sich aufnahm.
Am andern Morgen schien die Sonne nicht, der Himmel war ganz voll Wolken und der Wind fegte im Wald und auf der Wiese herum, dass kein Schmetterling und keine Biene sich herausgetraute; selbst die Vögel blieben scheu in ihren Nestern. Die dicksten Bäume bog der Wind um und zerzauste sie, dass sie kaum mehr wussten, wohin sich wenden. Die Sträucher und Blumen auf der Wiese duckten sich ganz stille unter, ließen den Wind über sich herwehen und warteten auf bessere Zeiten. Aber Kräutchen Eigensinn, das duckte sich nicht; es wollte mit dem Winde spielen und meinte, es sei so stark wie er und brauche sich weder zu biegen, noch zu neigen. Was kümmert sich aber der Wind um seinen schwachen Widerstand, er fegte unerbittlich drüber hin und her und bald lagen die meisten Blüten alle auf der Erde, die grünen Blättchen flatterten wild umher und der Nachbarin, dem guten Röschen, ward ganz angst und bange. "Kräutchen Eigensinn", rief es warnend, "lasse Deine Zweige nieder hängen, der Wind zerreißt Dich sonst in tausend Stücke!"
"Ich will mit dem Winde spielen, ich darf es tun, Du hast es mir nicht zu wehren!" antwortete Kräutchen Eigensinn und trieb es nur noch toller. Aber - was geschah?
Nach einer halben Stunde war das Kräutchen Eigensinn kein grüner Strauch mehr, sondern ein hässliches, kahles Reis, das aussah, als ob die Raupen es abgefressen hätten. Nur ganz unten hingen noch ein paar kleine Blättchen an dünnen Fäden und schaukelten sich hin und her.
Nun war es mit dem Kräutchen Eigensinn aus; kein Bienchen sah es mehr an, Niemandem fiel es ein, sich ein Zweiglein zum Strauße zu pflücken, und die Vöglein flogen Alle vorüber, als ob es gar nicht auf der Welt wäre. Es konnte nicht einmal mehr sagen: "Ich will nicht, ich mag nicht!" denn keine Seele wollte etwas von ihm.
So verging der Sommer und der Herbst kam, wo der Nikolaus auszieht, um sich Reiser für seine Ruten zu holen. Er hatte manchmal von der Böllsteinerhöhe herab gesehen, wie es das Kräutchen Eigensinn trieb und jedes Mal gedacht: "Na warte nur, weil Du zu allem "Nein!" sagst, sollst Du mir noch die kleinen Leute "Ja!" sagen lehren!" Als er nun mit seinem Grauchen über die Wiese zog, sah er schon von Weitem das dürre Reis und rief vergnügt: "Ha, das hat schöne, schlanke Gerten gegeben, die will ich nun zu Ruten binden und da wird mein Kräutchen Eigensinn den Kindern bald den Eigensinn aus den kleinen Trotzköpfchen treiben!"
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  Luise Büchner 1821 - 1877
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