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  Die Legende von dem Zaunkönig und der Zaunkönigin ( 3 )
  König Zaun aber brummte gewaltig über die Störung; denn es war etwas faul. Jedoch die Königin ließ nicht nach. Und als er nun die Augen öffnete, lieber Himmel, da piepte er beinahe vor Schrecken und Überraschung. So etwas war auch noch niemals da gewesen, solange es Zaunkönige gibt.
  Der Engel hatte sich in den Staub nieder geworfen, und mit ausgebreiteten Armen betete er: "O Liebe, o Liebe! Hier also ist der gnadenvolle Ort, an dem der König des Himmels und der Erde geboren werden soll. Nur noch wenige Tage und das größte Wunder wird hier geschehen: Gott selbst betritt die Welt als kleines, armseliges Menschenkindlein. Und in diesem Stalle will er geboren werden. Schon sind sie auf dem Wege hierher, der reine, heilige Nährvater und die süße Mutter, die wunderbare Jungfrau von Nazareth. Und hier ist der Ort, den mein Herr und König durch seine Gegenwart heiligen will. O du großer Gott, o du süßes Christkindlein, o du armseliger Stall, in dem es geboren wird!"
  So betete der Engel. Und nicht lange währte es, da kamen noch viele andere Himmelsbewohner hereingeschwebt, warfen sich in den Staub und küssten inbrünstig den heiligen Boden, der zuerst das Gotteskindlein tragen durfte. Und dann sangen sie mit lieblicher Stimme: "O du großer Gott, o du süßes Christkindlein, o du armseliger Stall, in dem es geboren wird!" Das klang noch hundertmal schöner, als wenn Nachtigall und Amsel im Walde ein Freikonzert geben.
  Die beiden Zaunkönige saßen noch immer da mit vor Erstaunen offenem Schnäbelein, als die Engel schon längst den Stall wieder verlassen hatten. Endlich ermannten sie sich.
  "Zaun", sagte die Königin, "Zaun, welch wunderbare Sachen mussten wir vernehmen! Mir schwindelt noch der Kopf. Der Gott des Himmels will ein Menschenkindlein werden und zwar in diesem Stall, - in unserem Stall, Zaun. O Gott, halb tot möchte ich mich schämen, denn wie sieht der Stall aus! Spinngewebe in allen Ecken und darin hässliche langbeinige Spinnen! Staub und Wust, wohin man sieht! Auf dem Boden Maden und Tausendfüßler und rauborstige Käfer, und dort in der Krippe - sieh nur, Zaun - eine schreckliche Raupe, so lange wie mein Bein und viel, viel dicker. O Zaun, wenn die dem süßen Kinde übers Händlein kröche, und es entsetzte sich vor dem hässlichen Tier und finge wohl gar zu weinen an! Ich könnte mich niemals wieder vor den Menschen sehen lassen, wenn so etwas in unserem Stalle geschehen wäre."
  "Aber wie sollen wir es hindern?" meinte König Zaun, der jetzt auch seine Sprache wieder gefunden hatte.
  "Frage nicht so einfältig", verwies die Königin. "Freilich, ein schönes Stück Arbeit wird es kosten, aber desto fleißiger müssen wir und regen, denn es ist unser Stall, in dem das Gotteskindlein zur Welt kommt."
  So sagte die Königin und trippelte dabei von einem Beinchen auf das andere. König Zaun freilich war mit dem Plan noch nicht so recht einverstanden. "Wir beiden Zwerge sollen den ganzen Stall fegen?" brummte er. "Das ist doch eigentlich Sache der Menschen, denn zu ihnen kommt das Gotteskindlein."
  "Auch zu uns kommt es", eiferte die Königin, denn es hat uns alle erschaffen und sorgt noch jeden Tag für uns. O Zaun, dass du so wenig für das Himmelskindlein tun willst!
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  Hedwig Dransfeld 1871 - 1925
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