Der Schneemann ( 2 )
Das Schnee-Elfchen sagte aber nichts, sondern lachte so laut und
lustig, dass die alte Tanne, die doch sonst gewiss nicht für Bewegung war,
missmutig und erstaunt die Zweige schüttelte und sogar vernehmlich
knarrte. Da wurde es dem armen, kalten Schneemann so brennend heiß ums
Herz, dass er anfing vor lauter brennender Hitze zu schmelzen, und das war
nicht schön. Zuerst schmolz der Kopf, und das ist das Unangenehmste -
später geht's ja leichter. Das Schnee-Elfchen aber saß ruhig hoch
oben in der weißen Tannenkrone und wiegte sich und lachte und
schüttelte die langen hängenden Haare, dass tausend kleine
Schneesternchen herab fielen. Der arme Schneemann schmolz immer weiter und
wurde immer kleiner und armseliger und das kam alles von dem brennenden Herzen.
Und das ist so weitergegangen und der Schneemann war schon fast kein Schneemann
mehr, da ist der heilige Abend gekommen und die Englein haben die goldnen und
silbernen Sterne am Himmel geputzt, damit sie schön glänzen in der
heiligen Nacht.
Und da ist etwas Wunderbares geschehen: wie das Schnee-Elfchen den Sternenglanz
der heiligen Nacht gesehen hat, da ist ihm so seltsam zu Mute geworden und da
hat's mal auf den Schneemann heruntergesehen, der unten stand und schmolz und
eigentlich schon so ziemlich zerschmolzen war. Da ist's dem Schnee-Elfchen so
brennend heiß ums Herz geworden, dass es herunter gehuscht ist vom hohen
Tann und den Schneemann auf den Mund geküsst hat, so viel noch davon
übrig war. Und wie die beiden brennenden Herzen zusammen waren, da sind
sie alle beide so schnell geschmolzen, dass sich sogar der Eiszapfen
darüber wunderte, so ekelhaft und unverständlich ihm die ganze Sache
auch war.
So sind nur die beiden brennenden Herzen nachgeblieben, und die hat die
Schneekönigin geholt und in ihren Kristallpalast gebracht, und da ist's
wunderschön und der ist ewig und schmilzt auch nicht. Und zu alledem
läuteten die Glocken der heiligen Nacht.
Als aber die Glocken läuteten, ist das Wiesel wieder herausgekommen, weil
es so gerne das Glockenläuten hört, und da hat's gesehen, dass die
beiden weg waren.
"Die beiden sind ja weg," sagte es, "das ist wohl der
Weihnachtszauber gewesen."
"Ach, das war ja etwas ganz anderes!" sagte der Eiszapfen
rücksichtslos und das Wiesel verzog sich empört in seine Behausung.
Auf die Stelle aber, wo die beiden geschmolzen waren, fielen tausend und
abertausend kleine weiße, weiche Flocken, so dass niemand mehr was von
ihnen sehn und sagen konnte. - Nur der Eiszapfen hing noch genau so da, wie er
zuerst gehangen hatte, und der wird auch niemals an einem brennenden Herzen
schmelzen und auch gewiss nicht in den Kristallpalast der Schneekönigin
kommen - denn der ist eben etwas ganz anderes!
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Manfred Kyber 1880 - 1933
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