Der aller erste Weihnachtsbaum ( 3 )
"Gewiss", sagte der Alte, holte Stein, Stahl und Schwammdose heraus,
pinkte Feuer aus dem Stein, ließ den Zunder in der Schwammdose zum
Glimmen kommen und steckte daran ein paar Schwefelspäne an. Die gab er dem
Christkindchen. Das nahm einen hellbrennenden Schwefelspan und steckte damit
erst das oberste Licht an, dann das nächste davon rechts, dann das
gegenüberliegende, und rund um das Bäumchen gehend, brachte es so ein
Licht nach dem andern zum Brennen.
Da stand nun das Bäumchen im Schnee; aus seinen halbverschneiten dunklen
Gezweig sahen die roten Backen der Äpfel, die Gold - und Silbernüsse
blitzten und funkelten, und die gelben Wachskerzen brannten feierlich. Das
Christkindchen lachte über das ganze rosige Gesicht und patschte in die
Hände, der alte Weihnachtsmann sah gar nicht mehr so brummig aus, und der
kleine weiße Spitz sprang hin und her und bellte.
Als die Lichter ein wenig heruntergebrannt waren, wehte das Christkindchen mit
seinen goldsilbernen Flügeln, und da gingen die Lichter aus. Es sagte dem
Weihnachtsmann, er solle das Bäumchen vorsichtig absägen. Das tat
der, und dann gingen beiden den Berg hinab und nahmen das bunte Bäumchen
mit.
Als sie in den Ort kamen, schlief schon alles. Beim kleinsten Hause machten die
beiden halt. Das Christkindchen machte leise die Tür auf und trat ein; der
Weihnachtsmann ging hinterher. In der Stube stand ein dreibeiniger Schemel mit
einer durchlochten Platte, den stellten sie auf den Tisch und steckten den Baum
hinein. Der Weihnachtsmann legte dann noch allerlei schöne Dinge,
Spielzeug, Kuchen, Äpfel und Nüsse unter den Baum, und dann
verließen beide das Haus ebenso leise, wie sie es betreten hatten.
Als der Mann, dem das Häuschen gehörte, am anderen Morgen erwachte
und den bunten Baum sah, da staunte er und wusste nicht, was er dazu sagen
sollte. Als er aber an den Türpfosten, den des Christkinds Flügel
gestreift hatte, Gold - und Silberflimmer hängen sah, da wusste er
Bescheid. Er steckte die Lichter an dem Bäumchen an und weckte Frau und
Kinder.
Das war eine Freude in dem kleinen Hause, wie an keinem Weihnachtstage. Keines
von den Kindern sah nach dem Spielzeug und nach dem Kuchen und den Äpfeln,
sie sahen nur nach dem Lichterbaum. Sie fassten sich an den Händen,
tanzten um den Baum und sangen alle Weihnachtslieder, die sie wussten, und
selbst das Kleinste, was noch auf dem Arme getragen wurde, krähte, was er
krähen konnte.
Vor dem Fenster aber standen das Christkindchen und der Weihnachtsmann und
sahen lächelnd zu.
Als es helllichter Tag geworden war, da kamen die Freunde und Verwandten des
Bergmanns, sahen sich das Bäumchen an, freuten sich darüber und
gingen gleich in den Wald, um sich für ihre Kinder auch ein
Weihnachtsbäumchen zu holen. Die anderen Leute, die das sahen, machten es
nach, jeder holte sich einen Tannenbaum und putzte ihn an, der eine so, der
andere so, aber Lichter, Äpfel und Nüsse hingen sie alle daran.
Als es dann Abend wurde, brannte im ganzen Dorfe Haus bei Haus ein
Weihnachtsbaum, überall hörte man Weihnachtslieder und das Jubeln und
Lachen der Kinder.
Von da aus ist der Weihnachtsmann über ganz Deutschland gewandert und von
da über die ganze Erde. Weil aber der erste Weihnachtsbaum am Morgen
brannte, so wird in manchen Gegenden den Kindern morgens beschert.
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Hermann Löns 1866 - 1914
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