Weihnachten ( 2 )
Wenn dann der folgende Tag, der Christtag kommt, so ist er ihnen so feierlich,
wenn sie früh morgens, mit ihren schönsten Kleidern angetan, in der
warmen Stube stehen; wenn der Vater und die Mutter sich zum Kirchgang
schmücken, wenn zu Mittag ein feierliches Mahl ist, ein besseres als an
jedem Tage des ganzen Jahres, und wenn Nachmittags oder gegen den Abend hin
Freunde und Bekannte kommen, auf den Stühlen oder Bänken herumsitzen,
miteinander reden und behaglich durch die Fenster in die Wintergegend
hineinschauen können, wo entweder die langsamen Flocken niederfallen oder
ein trübender Nebel um die Berge steht oder die blutrote, kalte Sonne
hinabsinkt. An verschiedenen Stellen der Stube, entweder auf einem
Stühlchen oder auf der Bank oder auf dem Fensterbrettchen liegen die
zauberischen, nun aber schon bekannteren oder vertrauteren Geschenke von
gestern Abend herum.
Hierauf vergeht der lange Winter, es kommt der Frühling und der unendlich
dauernde Sommer - und wenn die Mutter wieder vom heiligen Christ erzählt,
dass nun bald sein Festtag sein wird, und dass er auch diesmal herabkommen
werde, ist es den Kindern, als sei seit seinem letzten Erscheinen eine ewige
Zeit vergangen, und als liege die damalige Freude in einer weiten, nebelgrauen
Ferne.
Weil dieses Fest so lange nach hält, weil sein Abglanz so hoch in das
Alter hinaufreicht, so stehen wir so gerne dabei, wenn Kinder dasselbe begehen
und sich darüber freuen.
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Adalbert Stifter 1805 - 1868
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