Weihnachten im Künstlerheim ( 2 )
Das Haus ist zu Weihnachten
gefüllt: Kranke holen sich Kraft, Traurige Mut, Müde,
Überarbeitete Ruhe und Frieden aus der Arche, aus den hellen, mutigen
Mutteraugen Tante Idas. Es war ein so wunderbares Leben dort, und diese alles
vergesse ich nie", schließ die junge Frau leise und schwieg dann.
Der junge Hausherr horcht auf die fremde Welt, von der wir reden, die seinem
Herzen doch so nahe ist. Und ich erzähle weiter: "Die Vorbereitungen
zum Heiligabend sind alle gemacht. Wir haben den Weihnachtsbaum aus dem Walde
geholt. Er füllt die ganze Mitte des Saales und ist wie ein Stück
Wald, das ins Zimmer gekommen ist. Riesenschüsseln mit Gebäck werden
von "Guscha", dem guten Geist des Hauses, aus der Küche getragen
und auf den Tisch im Speisezimmer hingestellt. Guscha strahlt, ihr Gesicht ist
vom Herdfeuer gerötet, sie ist dick und fröhlich, und ihr Herz kennt
nur eine Freude: für andere Gutes tun und für sie arbeiten. - Die
Bescherung ist gewesen, das festliche Abendessen hat uns um den langen
Speisetisch vereinigt. Wie schmeckte es allen! Wie froh waren alle! Nun sitzen
wir um den Kamin, indem die riesengroßen Birkenscheide flammen. Wir
plaudern, lachen und schweigen. Die Flamme des Kamins fällt auf die
Gesichter. Da ist der Sohn des Hauses, eine schlanke, vornehme Erscheinung, um
den feinen Mund ein etwas spöttisches Lächeln, das man zuerst ein
wenig scheut, bis man weiß, dass dieses Lächeln nichts weiter ist
als ein Schutz für sein allzu weiches Herz. Und da ist auch Ida, die
Tochter des Hauses, sie ist herb und scheu, aber sie hat ein Herz voll
unwandelbarer Treue. Sie ist wie Schön - Rotraut, die nicht spinnen noch
nähen mag, tut fischen und jagen.
Man muss sie im Segelboot sehen, in Sturm und Wellen, mit ruhiger Hand das
Steuer haltend. Wenn die Wellen über den Bootsrand schlagen, wenn der Mast
sich ächzend biegt und zu brechen droht, dann lachen ihre ernsten Augen,
und ein Jubelruf bricht aus ihrer verschlossenen Seele.
Eine seltsame Macht übt sie auf Tiere aus, dass es fast wie ein Zauber
wirkt, und die wildesten Pferde werden zahm und gehorsam auf ihren leisen
Zuruf. Zu ihren Füßen ruht eine riesige Dogge, die ihr immer zur
Seite ist und auf jede Bewegung ihrer Herrin horcht. Der Duft des Tannenbaumes
und der Wachslichter zieht durch alle Räume des Hauses, das so voller
Tradition ist, füllt die niedrigen Zimmer mit altmodischen Möbeln,
ihren Streckbalken an der Decke, den weißen Tannenfußböden und
dem unaussprechlichen Behagen.
Da tritt Tante Ida unter uns: "Kinder kommt hinaus und seht, wie
draußen die Sterne funkeln! So funkeln sie nur am Heiligabend, zu Ehren
des Christkindleins." Wir gehen alle in den Garten, dicht eingehüllt
in unsere Pelze. Es ist so kalt, dass man schwer atmet. Es ist ganz still, der
Schnee leuchtet und knirscht unter unseren Schritten, die Sterne funkeln, und
in der Ferne schlägt ein Hund an. Aus den Fenstern des langgestreckten
Hauses fällt ein Lichtschein auf den Schnee - aus der Leutestube hört
man das Gesinde singen - sie singen ein Weihnachtslied: "Stille Nacht,
heilige Nacht."
Nun schweig auch ich. Alles, alles das ist einmal gewesen, ehe der Krieg kam,
ehe die Revolution über und hereinbrach. Nie gibt es mehr ein
Weihnachtsfest in der Arche. Tante Ida ist tot - ihre Kinder auch tot oder weit
verstreut. Die alte Arche ist verschwunden, die Bäume im Garten sind
gefällt - tiefe Gräben ziehen sich durch die Gartenwege und die
Beete, und der Schneck deckt Trümmer zu. Keiner kann sich dort mehr Kraft
für sein Leben holen, keiner Liebe erfahren. Ein Schluchzen dringt mir aus
dem Herzen. -
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Monika Hunnius 1858 - 1934
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