Weihnacht in Winkelsteg ( 3 )
Aber das Lied wird bald aus sein und danach kommt das Hochamt und da muss
Musik, Chormusik sein um alle Welt. Holpert der alte Rüpel die Treppe
herauf: "Schulmeister! Will schon heut die Orgel schweigen, so nimm die
Geigen!" "O Gott, Rüpel, die ist zu Holdenschlag beim
Leimen!" "Und kunnt ich auch die Geigen nicht zuwege bringen, o
tät ich bei meiner Treu die Kirchenlieder frei auf der Zither
singen!"
Für diese Wort habe ich den Alten so stürmisch umarmt, dass er bis
ins Herz hinein erschrocken ist. Ich eile und hole die Zither; und bei dem
Hochamte klingt auf dem Chor ein Saitenspiel, wie es in dieser und etwa auch in
einer andern Kirche niemalen so gehört worden ist. Die Leute horchen, der
Pfarrer selber wendet sich ein wenig und tut einen kurzen Blick gegen mich
herauf.
Und so ist mitten in der langen Winternacht zu Winkelsteg das Christfest
gefeiert worden. Leise zittern und wiegen die Saitentöne; sie singen dem
Neugebornen Jesukindlein das Wiegenlied und dem Menschen den Frieden. Und sie
schrillen und wecken das schlafende Kind, ehe der falsche Herodes kommt; und
sie trillern ein Wanderliedchen für die Flucht nach Ägypten.
Ich spiele den Messgesang, spiele die Lieder, wie sie meine Mutter gesungen und
mein Nährvater, der gute Schirmmacher, und im Hause des Freiherrn die
Jungfrau . . . .
Und letztlich weiß ich selber nicht mehr, was ich kindischer Mann der
Gemeinde und dem heiligen Kind hab vorgespielt in dieser Christnacht.
Ich werde den Winkelstegern noch so verrückt wie der Reim-Rüpel.
Nach dem Mitternachtsgottesdienst hat der Pfarrer durch mich die Ärmsten
der Gemeinde, die Alten, die Bestraften, die Verlassenen zu sich in den
Pfarrhof rufen lassen.
Je! Da ist es noch heller wie in der Kirche! Da ist mitten in der Stube ein
Baum aufgewachsen und der blüht in Flammenknospen an allen Ästen und
Zweigen.
Da gucken die alten Männlein und Weiblein gottswunderlich drein und
kichern und reiben sich die Augen über den närrischen Traum. Dass auf
einem Baum des Waldes eitel Kerzenlichter wachsen, das haben sie alle ihre Tage
noch nicht gesehen.
Jenes Wundervöglein von den tausend Jahren, sagt der Pfarrer, sei wieder
durch den Wald geflogen, habe ein Samenkorn in den Boden gelegt und dem sei
dieses Bäumchen mit den Flammenblüten entsprossen. Und das sei der
dritte Baum des Lebens. Der erst sei gewesen der Baum der Erkenntnis im
Paradiese; der zweite sei gewesen der Baum der Aufopferung auf Golgatha; und
dieser dritte Baum der Baum der Menschenliebe. Der uns das Golgatha der Erde
wieder zum Paradiese gestalte. Im brennenden Dornbusch habe Gott vormal einst
die Gebote verkündet und in diesem brennenden Busche wiederholte er es
heute: Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst!
Hierauf hat der Pfarrer die Kleidung und Nahrung verteilt, wie die Gaben
bestimmt gewesen, und die Worte gesagt: "Nicht mir danket, das Christkind
hat's gebracht!" "Du mein, du mein!" rufen die Leutchen zu
einander, "jetzt steigt uns das Christkind schon gar in den Wald herein!
Ja, weil wir halt eine Kirche haben und so viel einen guten Herrn
Pfarrer!"
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Peter Rosegger 1843 - 1918
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