Die Weihnachtskrippe daheim
Der Bruder meiner Mutter, namens Joseph Hartel, ein noch unverehelichter junger
Mann, der schöne Blechwaren aller Art verfertigte, besuchte uns, besonders
im Winter, alle Abende. Er war immer heiter und voll witziger Einfälle.
Wir Kinder alle waren immer hocherfreut, wenn der Herr "Vetter
Joseph" kam, wie wir ihn nannten. - Uns Kindern und den Kindern einer
Schwester und auch einiger Nachbarn Freude zu machen, hatte er in einer Ecke
seines Wohnzimmers zwischen den zwei Fenstern eine "Weihnachtskrippe"
angebracht. Man sah einen großen Berg mit Felsen und Wäldchen und
zerstreuten ländlichen Hütten. Ganz oben auf dem Berge befand sich
die Stadt Bethlehem. Wenn er uns bei Tage die Krippe zeigte, rauchten alle
Kamine der Stadt, bei Nacht waren alle Fenster erleuchtet. Dies wurde durch ein
Glutpfännchen mit Weihrauch oder einer kleinen Lampe bewirkt, die er in
das Innere der Stadt hineinstellte, die aus Blech gefertigt und zierlich mit
Farben bemalt war. Unten im Tale befand sich auf einer Seite eine grüne
Ebene mit vielen Schafen und Lämmchen und mit dem Hirten, der auf einer
Schalmei spielte. Zur andern Seite war ein kleiner See von wirklichem Wasser,
in dessen Mitte, so zart wie das feinste Silberfädchen, ein Springbrunnen
empor sprudelte. Auf dem See befanden sich zwei Schwäne; wenn man ihnen
ein kleines rotes Stäbchen, das bereit lag und an dessen Spitze etwas Brot
befestigt war, vorhielt, so kamen sie herbei; zeigte man ihnen aber den breiten
Teil des Stäbchens, so wichen sie zurück. Diese Wunder des uns
unbekannten Magneten erfreute uns Kinder sehr. Die größte Freude
aber machte und das göttliche Kind mit Maria und Joseph; auch die
anbetenden Hirten und die heiligen drei Könige, die mit aller
königlichen Pracht erschienen. -
Noch jetzt zur Stunde erinnere ich mich an alles sehr klar und deutlich. - In
Hinsicht der Kunst mochte dieses alles wohl keinen Wert haben. In Bezug auf die
Zeitverhältnisse war manches irrig und ganz verfehlt. Aus den Mauern
Bethlehems schauten zum Beispiel Kanonen hervor; der ehrwürdige Greis
Simeon hatte eine Brille auf; die heiligen drei Könige waren mit dem
doppelten Adler oder einem Ordenskreuz geschmückt. Allein all dieses irrte
und Kinder nicht. Wir hatten dabei sehr andächtige Empfindungen, die wohl
nicht ohne Gewinn waren für das ganze Leben.
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Christoph von Schmid 1768 - 1854
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