Danke liebes Christkind ( 1 )
"Ach, Mamali, wenn doch das Christkindli bald käme! Und wenn es mir
doch brächte, was ich mir so sehr wünsche! Glaubst du, dass es mir's
bringt?" so fragte die kleine Jolanda ihr Mütterlein, während es
war gebettete in ihrem Schoß saß, das rosige Gesichtchen mit den
großen dunklen Augen von den lockigen braunen Haaren umrahmt schaute
sehnsuchtsvoll bittend zur Mama empor. "Ja, was wünscht du dir denn
so sehnlich mein Liebling," fragte diese und strich mit der Hand über
das weiche Haar.
"O siehst du, Mamali, die süße wunderschöne Puppe mit
blondem Haar und großen, blauen Augen; aber ich weiß, sie kann sie
schließlich und wieder aufmachen. Ich sah sie gestern, als ich mit
Käthe an der Warenhalle vorbeiging auf dem Marktplatz. Du glaubst nicht,
Mama, wie schön sie ist, die schönste Puppe, die ich je sah!"
"Wir müssen nun eben sehen, was das Christkind bringt. Vielleicht
bringt es die Puppe nicht. Vielleicht bringt es etwas anderes."
"Aber ich möchte nichts anderes," sagte Jolanda und das
München verzog sich weinerlich, und um die Augen zogen sich Schatten von
einem festen sich regenden Eigenwillen. "Ich möchte diese Puppe haben
und sonst nichts anderes. O Mama, mach doch, dass das Christkind mir das
bringt!"
"Liebling, Kind, man kann nur wünschen beim Christkind; man darf nur
leise anbefehlen und nicht bestellen, und dann muss man's ihm still
überlassen und denken: Das Christkind weiß ganz gut, was schön
ist für mich und bringt nur Liebes und gutes mit. Wenn man so das
Christkind erwartet, dann ist man glücklich!"
So tröstete die Mutter, und Jolandas Gesicht verlor den dunklen Schatten
und bald hüpfte die kleine Gestalt ans Fenster und jubelte und rief:
"Oh sieh doch Mamalie, die vielen weißen Sommervöglein, die
fliegen sie fliegen so schnell, schnell!" Sie streckte die runden
Händchen aus, als wollt sie sie fangen.
Und das Christkind kam, mit seinem stillen, geheimen Vorbereiten, mit seiner
Hoffnungsfreude und seinem Lichterglanz. Jolanda war das einzige Kindlein
liebender Eltern, und was Elternliebe und Großelternzärtlichkeit
ersinnen und erdenken konnte, das sollte den Weihnachtsbaum der kleinen
schmücken und froh machen.
Die Herzen der Alten wollen sich sonnen am Kinderjubel und warm und
glücklich dabei werden.
Jolanda stürzte mit hellem Jauchzen in den lichterfüllten Raum, der
so manche Stunde geheimnisvoll vor ihr geschlossen worden war. Wie herrlich
strahlte der Baum im Glanz der hohen Kerzchen, die sich in leuchtenden Kugeln
spiegelten und in Schimmer und Gold verdoppelten. Ein kleiner Schemel stand vor
dem Baum und darauf hin setzte sich Jolanda und rückte ihn so nah als
möglich dazu, um mit ihren großen Augen freudetrunken empor zu
schauen ins Licht, selbst ein Lichtlein. Und das Lichtseelchen von oben flog
herunter zum Lichtseelchen dort unten und fröhlich begegneten sie sich in
Jolandas Auge. Christkind hatte keine Puppe gebracht, aber etwas anderes,
Wunderschönes. Liebende Hände hatten eine Puppenstube geschmückt
mit allen Zierraten, die sich malen, schnitzen, sticken und formen
ließen. Es war ein Zauberstübchen.
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Dora Schlatter 1855 - 1915
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