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  Heiliger Abend
  Der Pfarrturm, der alte, treu hält er die Wacht.
  Nun singt er den Gruß der heiligen Nacht;
  aber das Läuten, du hörst es kaum,
  zu viel Lärmen ist sonst im Raum.
  Auf dem Marktplatze jetzt um den Brunnen herum,
  was ist doch da für ein Gesumm,
  und tönt in alle Gassen aus
  und in den Gassen in jedes Haus;
  denn ach, des Weihnachtsbaumes Geflimmer,
  die höchste Lust, blüht ja im Zimmer!
 
  Noch stellt dem Heiligsten sich vor
  die Zimmertür als Himmelstor;
  wie stürmen sie im dichten Wall
  dagegen an, die Sel'gen all!
 
  Fasst ihr's, ihr Kinder groß und klein?
  Minuten noch, dann geht's hinein!
  Und drin wird's heller, heller, heller –
  horch, klapperte das nicht wie Teller?
  Und roter werden noch die Backen –
  ich glaub, das klang wie Nüsseknacken!
  Da huschte ein Schatten vors Schlüsselloch:
  "Ach, lieber Papa, nun öffne doch!"
  "So ungeduldig?" "Ach, Väterchen, nein,
  ich mein' ja nur so! . . . " "Nun, Völkchen, herein!"
 
  Da quillt aus offnem Gnadentor
  ein Strom von goldenem Licht hervor.
  Im Jubel bebt der Fuß zurück,
  weit auf das Auge, dann schließt sich's vor Glück,
  lässt blinzelnd nun und Schein auf Schein
  nur fünkchenweise Licht herein;
  dann öffnet sich's, wie's nur kann, so weit –
  hinein denn in die Seligkeit! . . .
 
  Dort stehen die Alten Arm in Arm
  und lächeln auf den Bienenscharm,
  wie um den Tisch in wilder Flucht
  ein jedes nach seinem Honig sucht.
  Das ist ein Gucken, Fragen, Lachen.
  Erstaunen und Gesichtermachen,
  denn, was ein jeder Platz enthält,
  aufblüht's zu einer Wunderwelt
  und wandelt Pfefferkuchenduft
  zu Fee und Kobold in der Luft.
  Die Braune dort, gibt sie nicht schon
  der Puppe mütterlich Lektion?
  Die andre mit der kleinen da,
  fühlt sie sich nicht als Großmama?
  Doch du, du Bürschlein, blond und wild,
  bist meiner Kindheit Ebenbild;
  ich weiß, von Reisen unerhört
  kommst eben du auf dem Schaukelpferd,
  und wie du das Gewehr genommen,
  mögen nur die Franzosen kommen!
  Wie du, führt ich die Zinnsoldaten
  zu ungeahnten Heldentaten,
  hab mit dem Holzschwert, wie du heut,
  einst manches Land vom Tyrannen befreit
  wie du, mit der Knallpistole jetzt
  den Drachen Todesschüsse versetzt.
  Bursch, wie's mich selig übertaut!
  Ich glaub, ich steck in deiner Haut,
  weiß wieder, als hätt' ich mich nie geirrt
  wie hold die Zukunft blühen wird,
  weiß, wie ich einst aus dem Verstecke
  die Tugend ruf, die Sünder schrecke,
  und Taten dabei vollführe, Taten,
  wie keinem Helden sie je geraten,
  daneben aber als großer Mann
  Besuche mit Kuchen traktieren kann,
  bis, wie die Bleient' um den Magnet,
  um meinen Willen die Welt sich dreht,
  bis niemand, als Papa allein,
  mir reden darf ein Wörtchen drein,
  bis ich, der glücklichste Mann der Erde,
  Konditor oder König werde! . . .
 
  Doch schweigend sehn in guter Ruh
  die Alten all dem Treiben zu,
  denn keusch aus der Vergangenheit
  grüßt sie die eigne Kinderzeit.
  Die Hände, die einst sie bedacht,
  die Augen, die einst sie bewacht,
  sie tauchen bei der Kleinen Lust
  wehmütig auf in ihrer Brust,
  und was noch Ausweg sucht im Wort,
  nach innen bald spinnt's weiter fort.
  Doch auch der Kleinen Freudenbraus
  klingt nun in leises Summen aus,
  wie Lerchentriller leiser wird,
  je näher er dem Himmel schwirrt.
  Und feierlich durchweht den Raum
  Dein duft, du lieber Tannenbaum,
  der du, wenn's draußen kahl und wüst,
  wie Hoffnung in der Trauer glühst.
  Aus jeder Lichterblume blüht
  Ein Fünkchen Frieden ins Gemüt.
  Du machst das Leben ja zum Traum,
  den Traum zum Leben, Weihnachtsbaum,
  gibst Glück dem, der's verlor, zurück,
  Glück des Beglückens, reinstes Glück.
  Ferdinand Avenarius 1856 - 1923
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